Was ist ein Trauma und wie entsteht es?
In meiner täglichen Arbeit begegne ich häufig diesen beiden Fragen und gebe hier gerne Antworten darauf. Der Begriff Trauma ist für viele Menschen etwas, das sie gar nicht auf sich anwenden, weil sie damit weit entfernte und gravierende, tragische Dinge verbinden. Andere hingegen verwenden den Begriff zunehmend inflationär und bewerten alltägliche Dinge vorschnell als „traumatisch“. Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Zu erkennen, dass man selbst posttraumatischen Stress in sich trägt, kann eine enorme Erleichterung sein. Es ist wie ein Puzzle, das sich plötzlich zusammenfügt und alle „seltsamen“ Symptome erklärbar macht. Manchmal lohnt sich deshalb ein Blick zurück…
Was ist ein Trauma und wie weiß ich, dass ich betroffen bin?
Kurze Antworten zur Definition:
- Der Begriff Trauma stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich übersetzt „Wunde“.
- Gemäß dem Wörterbuch Duden wird es weiterführend definiert als:
„Durch Gewalteinwirkung verursachte Verletzung des Organismus“ (Medizin).
„Starke psychische Erschütterung, die [im Unterbewusstsein] noch lange wirksam ist (Medizin, Psychologie). - Dr. Peter A. Levine, Psychologe und Traumaforscher erweitert den Begriff des psychischen Traumas:
„Trauma entsteht, wenn der Organismus in seiner Fähigkeit, Erregungszustände zu regulieren, überfordert ist. Das Nervensystem kommt durcheinander, bricht zusammen und kann sich nicht selbst wieder in die ursprüngliche Lage zurückversetzen.“
Hinweis: In diesem Beitrag geht es ausschließlich um das psychisch erlebte Trauma.
Die offiziellen Diagnoseleitlinien für Trauma
Seelisches Trauma wird durch ein Vorkommnis zugefügt, das mit erlebtem Kontrollverlust und dem Gefühl von Lebensgefahr abgespeichert wird. So wird dafür ein Ereignis vorausgesetzt, das katastrophalen Charakter für den Betroffenen hat und das er in Folge nicht angemessen verarbeiten kann. Die hervorstechende Eigenschaft ist, dass das Ereignis ein großes Gefühl der Hilflosigkeit und Überwältigung hinterlässt und den gesamten Organismus dadurch in Mitleidenschaft zieht. Das betrifft direkt sowohl die Psyche mit all den erlebten Emotionen als auch das Nervensystem mit den nachfolgenden hormonellen Reaktionen als Antwort auf den erlebten Stress.
- Die entstandene Stress-Energie bleibt dabei oft im Körper gebunden und kann sich nicht auf natürliche Weise ausreichend entladen. Die Stressantwort steckt im Körper fest und manifestiert sich dort in der Zellebene. Beispielsweise in der Muskulatur, wenn die gewünschte Flucht- oder Kampfreaktion nicht ausgeführt werden konnte.
- Eine unzureichende Bewältigung und Verarbeitung kann später zu anhaltenden Reaktionen im gesamten Organismus führen und wird in Verbindung mit entsprechenden Symptomen als „Posttraumatische Belastungsstörung“ (PTBS) diagnostiziert.
Ein Trauma im psychischen Sinn weist gemäß den gültigen Diagnoserichtlinien klar definierte Symptome auf:
» Symptome aus der klinischen Diagnose
» Beginn der Symptome innerhalb weniger Wochen bis 6 Monate nach dem Ereignis
» Anhaltendes Wiedererleben der Situation und sich aufdrängende Erinnerungen (Flashbacks)
» Albträume und Reaktion auf Auslösereize (Trigger)
» Innere Bedrängnis in Situationen, die der erlebten ähneln, oder mit ihr in Zusammenhang stehen
» Vermeidungsverhalten und sozialer Rückzug mit Suizidgefahr
» Anhaltende körperliche Folgen wie: Hyperarousal (chronische Übererregtheit), Schlafstörungen
» Reizbarkeit, Wutausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Schreckhaftigkeit (Hypervigilanz)
» Folgen wie Depressionen, Zwänge und Angststörungen
» Bei adäquater Unterstützung kann eine Heilung erwartet werden
» Unbehandelt ist eine Chronifizierung in einen jahrelangen Zustand möglich.
Wichtig ist: Nicht jedes schlimme Erlebnis führt automatisch zu einer PTBS. Jeder Mensch hat seine einzigartige seelische Immunkraft und wie bei der körperlichen Immunabwehr, kann sie stark oder schwach sein. Entscheidend ist also auch, wie Sie vor dem Ereignis gelebt haben und was Sie an seelischer Stabilität mitbringen. So kann beispielsweise ein überwältigendes Erlebnis im Erwachsenenalter zunächst als „akute Belastungsreaktion“ erlebt werden und bei guter Bewältigung ohne Folgestörung bleiben.
Was für Trauma Arten gibt es?
Nicht jedes traumatisierende Ereignis hat dieselben Auswirkungen auf Menschen und jedes benötigt eine andere Art der Behandlung. So ist es wichtig zu unterschieden, ob ein Trauma einmalig oder mehrfach zugefügt wurde. Für die Diagnose spielt es auch eine Rolle, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Häufigkeit und Schwere und unter welchen Umständen ein schlimmes Ereignis stattgefunden hat. So genannte man-made-Traumata beispielsweise wirken anders auf den Organismus als Trauma durch höhere Gewalt (Naturkatastrophen).
Deshalb unterteilt man Trauma grob in folgende Formen:
Die Unterteilung erfolgt in zwei Typen
- Typ I = Mono / Schocktrauma
Hier handelt es sich um meist kurzfristiges und einmaliges Geschehen. Dazu gehören beispielsweise Ereignisse wie
» (einmalige) sexualisierte Gewalt
» (kurzfristige) körperliche Gewalt
» kriminelle Gewalt in Form von Überfällen oder Attentaten
» (schwere) Unfälle
» erlebte Naturkatastrophen
» Lebensbedrohliche Krankheit
- Typ II = Entwicklungstrauma und Komplextrauma
In dieser Kategorie finden sich Betroffene, die wiederholt und langfristig schlimme Ereignisse erlebt haben, wie z.B. :
» (wiederholte) Misshandlung (auch in der Kindheit)
» (wiederholte) Gewalt (auch in der Kindheit)
» (wiederholte) sexualisierte Gewalt(auch in der Kindheit)
» schwere Vernachlässigung in der Kindheit
» Gewalt und sexualisierte Gewalt in der Partnerschaft (psychisch und physisch)
» anhaltend erlebte Gewalt (Folter) in politischen Systemen oder Kriegen
» Weitere Unterformen von Trauma:
» „Tätertrauma“ – Täter von Gewalttaten sind durch ihre eigenen Handlungen traumatisiert.
» „Sekundärtrauma“ – durch das Bezeugen schrecklicher Dinge (Augenzeugen, Retter, Behandler)
» Alle Formen von Trauma rund um die Geburt (Schocktrauma für Baby und Mutter)
» „Transgenerationales Trauma“ – Weitergabe von Trauma an die nächste Generation
Wie entsteht ein Trauma?
- Ein als überwältigend schlimm erlebtes Ereignis wird emotional oder körperlich nicht verarbeitet, es kommt zu einer Art Kollaps im Nervensystem.
- Der Schock und alle assoziierten Emotionen stecken im System „fest“ und die zugefügte Wunde bleibt „offen“.
- Ohne anschießende Verarbeitung entwickeln sich chronische Folgen auf den betroffenen Menschen als Ganzes in Emotion, Kognition und dem Organismus.
Was passiert da genau?
Bei einem heftig schlimmen Ereignis geschieht eine ganze Menge im Körper, was anschließend zu einer Trauma-Folgestörung im System führen kann! Angesichts großer Gefahr – nehmen wir einen bewaffneten Überfall – aktiviert der Körper Kampf- oder Fluchtmechanismen, und erhöht mithilfe von Hormonen und Impulsen das Nervensystem maximal „bis zum Anschlag“. Alles wird darauf ausgelegt, das Überleben zu sichern und der gesamte Organismus stellt sich darauf ein zu fliehen oder zu kämpfen.
» Es kommt meistens nicht zur Traumafolgestörung wenn…
Wenn man sich in der Situation tatsächlich erfolgreich wehren konnte oder rechtzeitig zu fliehen vermochte, kann das Erlebnis deutlich besser verarbeitet werden. Dann wird man wahrscheinlich mit einem ordentlichen Schrecken davonkommen. Die aktivierten Stresshormone werden bei Kampf- oder Fluchtmöglichkeit auf gesunde Weise abgebaut und das Geschehen kann nach angemessener Zeit verarbeitet werden. In den allermeisten Fällen wird dann kein Trauma im obigen Sinne zurückbleiben, auch wenn es eine Zeit brauchen wird, bis sich alles wieder sicherer anfühlt.
» Es kommt fast immer zur Traumafolgestörung wenn…
Die Folgen sind jedoch fast immer traumatisch, wenn man einer Übermacht hilflos ausgeliefert und unfähig zu Kampf oder Flucht war. Die eingeschalteten Notfallmechanismen für Kampf oder Flucht können dann nicht greifen. Hier stockt die aktivierte Energie und alles gerät in einen weiteren Notfallmodus: Die Erstarrung. Die empfundenen Emotionen durch die Überwältigung aktivieren nun zusätzliche Abläufe im Nervensystem. Wie eine elektrische Sicherung, die sich bei Überlastung einfach abschaltet um schlimmeren Schaden abzuwenden, gerät auch unser Gehirn in eine Art Abschaltmodus, die „Dissoziation“. Für den Augenblick ist das gut, denn das Ereignis wird abgeschwächter erlebt und sichert damit das Überleben auf seine Art.
Auf die Dauer ist das jedoch schlecht. Denn in diesem Fall verbleibt die hochgefahrene Stressenergie weitgehend im Körper und kann sich nicht entladen. Dieser Zustand wird deshalb auch oft als „Freeze“ bezeichnet, weil es wie eine Art von „Einfrieren“ von motorischer Energie ist. Kann der Betroffene auch später das Geschehen nicht ordentlich verarbeiten und das hohe Stresslevel durch natürliche Mechanismen wie z.B. Zittern oder gelenkte Abreaktion ausleiten, wird sich in Folge viel eher der Zustand entwickeln, den wir als Trauma bezeichnen. Der Körper bleibt dann im Trauma stecken und im Nervenkostüm angeschlagen und verwundet.
Besonders bei Entwicklungstrauma finden wir gehäuft, dass die Strategie der Dissoziation regelmäßig angewendet werden musste und sich so chronisch in den Erwachsenenalltag mitschleppt. Das erzeugt unklare Symptome, die der betroffene Mensch nicht einordnen kann und die er selbst sich nicht erklären kann.
Wie kann man ein Trauma verarbeiten?
- Das Geschehen kann im Nachhinein verarbeitet werden durch geeignete Verfahren und Übungen.
(Siehe auch: Wie Sie Ihr Nervensystem trotz Traumafolgen stabilisieren können) - Das kann allein erfolgen, wenn der Mensch mental sehr stark ist und durch ein tragendes Umfeld unterstützt wird.
- Je nach Schweregrad ist es jedoch wirklich empfehlenswert, mit fachkundiger Hilfe die Verarbeitung zu durchlaufen.
» Die Verfahrensweise hängt dabei von mehreren Faktoren ab
- Waren Sie vor einem Mono-Ereignis (Typ I) ein glücklicher und geborgener Mensch mit guten sozialen Kontakten und einer zufriedenstellenden Arbeit, haben Sie wahrscheinlich starke innere Bewältigungsmöglichkeiten. Fördert und verstärkt man diese durch gezielte Unterstützung wie eine gute Traumatherapie, sind die Chancen sehr hoch, dass Sie alles gut verarbeiten können. Es ist günstig, mit der Behandlung recht schnell zu beginnen, damit die Symptome sich gar nicht erst chronisch einnisten können. Kontaktieren Sie einen Arzt Ihres Vertrauens und suchen Sie sich anschließend eine Therapie Ihrer Wahl aus. Ich selbst bevorzuge ein Trauma-fokussiertes Verfahren um auch die Stressenergie auszuleiten, aber in erster Linie muss es natürlich zu Ihrem Typ passen.
- Sind Sie eher dem Traumatyp II zuzuordnen und Ihre seelischen Verletzungen sind anhaltend geschehen, sehr früh in der Kindheit oder auch nachhaltig in engen Beziehungen? Dann sollten Sie besonders aufmerksam die Art der Traumatherapie auswählen. Meist sind hier Verfahren angezeigt, die auch ohne große Worte auskommen und die Verarbeitung dadurch möglichst schonend verlaufen kann. Der Therapeut sollte auch Erfahrung haben mit Komplextrauma und der Taktik der chronischen Dissoziation und sehr umsichtig damit umgehen können. Ich habe erlebt, dass „nur“ Gespräche hier oft nicht die beste Wahl sind, aber natürlich muss das jeder für sich selbst herausfinden. Ihre erste Anlaufstelle ist in der Regel ein Arzt Ihres Vertrauens. Dieser kann Ihnen die Möglichkeiten aufzeigen und gemeinsam mit Ihnen nach einem geeigneten Verfahren schauen.
» übrigens….
Sollten Sie keinen kassenbezahlten Therapieplatz in einem nahen Zeitrahmen finden, steht Ihnen immer die Möglichkeit offen, in privatem Rahmen eine Therapie zu starten. Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, werden Sie es nie bereuen, in Ihre eigene Gesundheit und Ihr Lebensgefühl zu investieren. In einer privaten Praxis mit der genau passenden Therapiemethode brauchen Sie auch oft weniger Termine, als Sie denken! (Mehr Tipps finden Sie auch im Artikel Antworten rund um die Traumatherapie.)
Haben Sie weitere Fragen?
Gerne weise ich auf die anderen Artikel hin, die sich auf Themen rund um Trauma beziehen. Wie meine eigene Art der Arbeit mit Trauma ist, können Sie auch auf den Seiten EMDR-Therapie und EFT-Klopfakupressur nachlesen.
Für Ihre persönlichen Fragen stehe ich in einem Gespräch zur Verfügung. Selbst wenn Sie nicht zu mir in Behandlung kommen möchten, kläre ich Sie gerne weitergehend auf. Es ist mein persönlicher Beitrag an diese Welt, traumatische Folgen zu behandeln und auch darüber aufzuklären.
Sich selbst besser zu verstehen kann schon der erste Schritt in Richtung seelischer Gesundheit sein!
Herzlichst,
Regina Herzog-Visscher
p.s.: Wenn Sie mir persönlich schreiben möchten, können Sie das ganz einfach über mein Kontaktformular gleich jetzt tun.
p.p.s: Wenn Sie den Artikel als hilfreich und interessant einschätzen, teilen Sie ihn gerne in den sozialen Netzwerken oder schreiben mir Ihren Kommentar unten ins Feld. Herzlichen Dank!
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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Herzlichen Dank für diesen Beitrag. Zu erkennen, dass man ein Trauma erlitten hat, ist das eine. Zu wissen, dass es gute und heilende Hilfe gibt, ist das andere. Das offene Angebot, über Trauma und seine Folgen zu informieren, selbst wenn der/die Ratsuchende sich für einen anderen Therapeuten entscheidet, ist großherzig und ganz wunderbar. Jeder Mensch hat es verdient, gesehen und geheilt zu werden. Danke also, wie gesagt, für diesen informativen und wichtigen Beitrag – und danke darüber hinaus für die Wertschätzung den Menschen gegenüber.
Liebe Frau D.R. Herzlichen Dank für Ihren Besuch und für Ihre Worte! Es macht mir Freude,in diesem Feld zu arbeiten – und wenn es so wertschätzend kommentiert wird, dann umso mehr 🙂 DANKE